Neuerscheinung „Remscheid ‘45“ – Buch dreht sich um das letzte Kriegsjahr und den Neubeginn in der Stadt
Autoren gelingt eindeutige Analyse
Von Peter Klohs - Die Zeiten, in denen eine systematische Aufarbeitung der nationalsozialistisch geprägten Jahre in Deutschland nicht möglich war und auch in keiner Schule gelehrt wurde, sind noch nicht so lange Geschichte. Auch in Remscheid fand diese Aufarbeitung im Vergleich zu anderen Städten recht spät statt. Das Anfang Dezember im Bergischen Verlag erschienene Buch „Remscheid ‘45“ befasst sich mit dem letzten Kriegsjahr und der ersten Spanne des Neubeginns in der Stadt. Gemeinsam mit Armin Breidenbach hat der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Becker das 280 Seiten starke Buch herausgegeben.
Insgesamt haben 14 Autoren mitgewirkt, eine klare und unmissverständliche Deutung dieses Jahres zu entwickeln: OB Burkhard Mast-Weisz mit einem engagierten Vorwort, Jörg Beckers detailreiche Schilderung der ersten Sitzung des damals neuen Verwaltungsrates am 15. Mai 1945, als sich Nazis und Nicht-Nazis zum ersten Mal gegenüber saßen bis hin zum Familienporträt, das Sven Wolf über seine beiden Großväter Ernst Zulauf und Christin Wolf, die er persönlich nicht kennenlernen konnte, geschrieben hat.
Das Bildmaterial im Buch ist sorgsam ausgesucht und noch nicht oft zu sehen gewesen. „Das Thema ist Gott sei Dank kein Tabu-Thema mehr“, sagt Mit-Herausgeber Prof. Dr. Jörg Becker. „Der Lauf der Welt ist auch in Remscheid nicht aufzuhalten. Wir haben mittlerweile die segensreiche Einrichtung der Gedenk- und Bildungsstätte Pferdestall in Remscheid und das Max-Leven-Zentrum in Solingen. Es gibt aus den Kriegs- und ersten Friedensjahren haufenweise Augenzeugenberichte. Wir sind jedoch mit diesem Buch einen anderen Weg gegangen und haben ein vielfältiges und anhaltendes Quellenstudium betrieben, um das Buch in unserem Sinne zu vervollständigen.“
Und so lernen die interessierten Leser Unbekanntes und Neues über den ehemaligen Remscheider Oberbürgermeister Georg zur Hellen kennen, desgleichen über seinen Vorgänger Ludwig Kraft und über die gesammelten und zum Teil unheimlichen Kräfte, die die Stadt in diesem Jahr des Neubeginns lenkten.
Beim sorgfältigen Studium des Buches lässt sich an manchen Stellen auch Erschütterung nicht leugnen: Wenn zum Beispiel Jochen Bilstein, herausragender Kenner der Geschichte der Juden im Bergischen Land, in seinem Beitrag berichtet, dass er 1978 (!) den damaligen Leiter des Remscheider Stadtarchives nach der Erinnerung an die Pogromnacht vom 9. /10. November 1938 fragte, und die Antwort erhielt, dass es in Remscheid keine Juden gegeben habe.
Jörg Becker lobt die Zusammenarbeit der einzelnen Autoren einerseits und die zwischen Herausgeber und Verlag andererseits. Politiker wie Sven Wolf, Sven Wiertz und Francesco Lo Pinto haben ebenso an der Fertigstellung des Buches mitgewirkt wie die ehemalige Direktorin des französischen Nationalarchivs, Isabelle Neuschwander, und die Italienerin Marinella Fasani. „Wir Autoren waren uns da auch einig: Erst einmal liefern wir gute Arbeit ab, und dann finden wir einen Verlag.“
Im Zuge der vielfältigen und ausufernden Recherchen hat der Mit-Herausgeber festgestellt, dass es sehr wohl noch Tabu-Themen gibt. „So ist zum Beispiel die Opferforschung beliebter als die Täterforschung“, sagt Jörg Becker dazu.