Detailliert schildert Lothar Vieler in seinem Buch seine Jugend in Lennep.
Jedes Jahr - bis an ihr Lebensende - schickte Tante Mary aus Amerika ihrem Patensohn Lothar einen langen Geburtstagsbrief in englischer Sprache. Und das Schönste daran war, dass sie immer einen Zehn-Dollar-Schein dazu legte. Damals habe man für einen Dollar noch vier Mark zwanzig bekommen. Das hätte fast dazu gereicht, einen Monat die Miete zu bezahlen.
So steht es gleich zu Anfang in Lothar Vielers (72) gerade erschienenen Buch „Tante Mary und das Wirtschaftswunder“. Unterhaltsam und mit viel Liebe zum Detail schildert der Lenneper hier Geschichten und Erlebnisse, die seine Kindheit, seine Jugend geprägt haben. „Ich wollte meine vier Enkelkinder nicht nur bespaßen, sondern ihnen auch erzählen, wie es früher war. Die ersten 100 Seiten hatte ich innerhalb von zwei Wochen fertig, weil mir das Schreiben einen Riesenspaß gemacht hat“, sagt er. Er zeigte die ersten 28 Kapitel seiner Tochter, die Lehrerin ist. „Das kannst du aber gut“, habe sie ihm bestätigt. „Nach diesem Lob habe ich dann auf 300 Seiten erhöht. Und hätte jetzt schon wieder große Lust, ein zweites Buch zu schreiben“, sagt Lothar Vieler und lacht.
Der Autor, der sich vor sieben Jahren zum Stadtführer ausbilden ließ und seitdem in seiner Heimatstadt als „Gustav om Hackenberge, der Nachtwächter von Lennep“ bestens bekannt ist betont, wie sehr es ihn fasziniert habe, dass er sich beim Schreiben so schnell wieder in die damalige Zeit reinfinden konnte. „Im Rückblick bewertet man manches allerdings ganz anders, vieles wird klarer. Ich habe es nicht zuletzt daran gemerkt, dass mein Vater vor dem Schreiben eine ganz andere Rolle in meinem Leben hatte“, ist er sich sicher, dass man im Alter in ganz anderen Dimensionen denkt. So anschaulich, wie Vieler erzählt, hat man als Leser keine Schwierigkeiten, das anheimelnde Häuschen in Lennep, dass die vierköpfige Familie Vieler mit weiteren drei Mietparteien teilen musste, vor dem geistigen Auge zu sehen. Das Schneideratelier des Vaters mit bis zu drei Gesellen, habe dort ebenfalls Platz gefunden. Aber trotz der räumlichen Enge habe eine „erstaunliche Lebensqualität“ geherrscht, die man sich heute wohl nur noch schwer vorstellen könnte. Lebendig wird auch die Sommerkirmes, die für Lennep damals das allergrößte Fest gewesen sei. Von seinen Eltern habe er fünfzig Pfennig als Kirmesgeld bekommen, damit sei er allerdings nie wirklich ausgekommen. Aber es habe für ihn und seinen Bruder kleine Nebenarbeiten gegeben: „Auch durch unseren Vermieter Hermann Gießen, von allen am Kreishaus ‚Der Baron‘ genannt, dem ich zweimal in der Woche die Schuhe putzte. Da konnte ich so viel auf die hohe Kante legen, dass ich die Kirmestage in vollen Zügen genießen konnte“, kann sich Vieler gut erinnern. Er schildert seine Konfirmation im März 1963, als die Mutter schon einige Tage vorher alles für eine große Feiergesellschaft und ein festliches Mahl vorbereitet hatte. Vor Geschenken habe er sich nicht retten können, Taschentücher und Schokoladentafeln seien der Renner gewesen. „Aber weil ich auch ein wenig Geld und nicht zuletzt in einer wunderschönen Karte von Tante Mary weitere zehn Dollar bekommen habe, konnte ich meinen ersten Fotoapparat der Marke Voigtländer kaufen.“
Aber neben den ganz persönlichen Erinnerungen schildert Lothar Vieler auch Geschichtliches. Diese meist kurzen Passagen sind grau unterlegt, heben sich deutlich von seinen Jugenderinnerungen ab. Dabei geht es beispielsweise um die Lenneper Stadtkirche, die Kammgarnspinnereien oder auch die Trecknase, die ihren Namen von der Anhöhe hat, zu der die damaligen Ochsen oder Pferdekarren und Gespanne ordentlich ziehen mussten, um über die Nase drüber wegzukommen. Auch von den Trümmerfrauen ist die Rede: „Heute weiß ich, dass die 50-Pfennig-Münze 1949 als Erinnerung an die Trümmerfrauen gestaltet wurde.“
Ein Buch, dass so interessant und kurzweilig geschrieben ist, dass das Lesen zum Vergnügen wird.